kolumnen-fee?

Taugt das was? Daumen hoch, Daumen runter!

Sunday, July 02, 2006


Die Schwarze Stadt
Glosse anläßlich des Leipziger Wave-Gothik-Treffens ["Grufti-Festival"] 2004

Freitagnachmittag. Ich stehe vor dem Hauptbahnhof, will ein bisschen die Sonne genießen und meine Einkäufe erledigen. Als ich gedankenverloren an der Ampel stehe, drängen sich mehr und mehr schwarze Gestalten in meinen Blick. Das Wave-Gothik-Treffen wirft seine Schatten voraus: Schwarze wallende Röcke, Netzstrümpfe, hohe Stiefel, knappe Oberteile und nicht selten viel Haut. Dazu: weiß geschminkte Gesichter, blutrote Lippen und tiefschwarz umrandete Augen. Die Haare toupiert, rasiert, gefärbt. Hauptsache auffällig!
Mich interessiert es überhaupt nicht, wie viele Stunden diese Leute damit verbracht haben, sich den Tod ins Gesicht zu schminken.
Doch ignorieren geht nicht – sie sind überall. Wie angestrengt sie versuchen, den ganzen Weltschmerz in ihren Blick zu legen... Mich hingegen bringt es fast schon zum Lachen, das Grufti-Mädchen mit den sorgfältig toupierten Haaren, in Spitzenhöschen und derben Stiefeln zu beobachten. Steht brav da – wie das rote Ampelmännchen persönlich. Das macht diese Gestalt fast schon wieder niedlich. Aber nur fast.
Diese Exhibitionisten nerven mich. Ich muss hier weg, kann nicht warten, bis das grüne Ampelmännchen auftaucht. Also ignoriere ich die beschleunigenden Autos und renne über die Straße. „Was, wenn ich überfahren werde?“ schießt es mir durch den Kopf. „Werden sie dann alle auf mich stürzen und mir begeistert das noch warme Blut aus den Adern saugen?
Wahrscheinlich nicht mal das. Denn wirklich blutrünstig ist ja keiner von denen. Alles nur Maskerade.
Heil erreiche ich die andere Straßenseite. Doch ich merke bald: In der Innenstadt ist kein Entrinnen. Ich trete die Flucht an. Nur weg hier. Im Johanna-Park wähne ich ein friedliches Plätzchen. Doch weit gefehlt: Keine aufgekratzten Schüler, die in bunten Sport-T-Shirts einem Federball nachjagen.
Doch auch hier: nur Gruftis und Patchouly-Gestank. Und das im schönsten Sonnenschein. Ich beginne, mir ernsthafte Sorgen zu machen. Was, wenn sie braun gebrannt werden und so die lang erarbeitete Todesblässe verlieren?
Ein störendes Geräusch reißt mich aus meinen Überlegungen. Ein Mann in Minirock und Spitzen-Oberteil, natürlich alles in schwarz – versteht sich, schlurft an mir vorbei. Schwere Ketten hängen um seinen Hals,
an seinen Knöcheln bimmeln Glöckchen.
Seine Begleitung will ich mir gar nicht mehr anschauen. Ich habe genug von korsettgeschnürten Brüsten und freigelegten Po-Schlitzen. Von so viel sexuellem Fingerzeig wird mir schlecht.
Wahrscheinlich ist es das, was mich so nervt: Dass diese Leute sich von mir eine Aufmerksamkeit einfordern, dich ich ihnen nicht geben will. Ich schließe die Augen – Schwärze umhüllt mich.

Verfasst: Juni 2004

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