kolumnen-fee?

Taugt das was? Daumen hoch, Daumen runter!

Wednesday, July 05, 2006


Schwarz-rot-gold

Was haben wir in den letzten Wochen miterleben dürfen: Ein Land, das sich seine nationalen Farben zurückerobert. Schwarz! Rot! Gold!
Diese lange Zeit verschämt unter Ladentischen gehandelten Farben wurden endlich wieder ans Tageslicht geholt, für gut befunden und voller Stolz - für alle sichtbar - zur Schau getragen.
Gerade noch trieb uns eine wehende Flagge samt deutschem Bundes-Adler den Schweiß auf die Stirn - das beängstigend klingende Marschieren brauner Stiefel schien für immer untrennbar mit unseren nationalen Farben verknüpft zu sein.
Eigentlich totaler Schwachsinn, möchte ich sagen - hätte ich mich nicht jahrelang ebenso gegen die nationale deutsche Symbolik gewehrt.
Im Ausland mit "Heil Hitler" begrüßt zu werden, lauthals angestimmte Soldatenlieder als Überraschungsgeschenk an deutsche Au-pair-Mädchen, Zivis und Rucksack-Reisende - wer hat das nicht schon so erlebt?
Ob patriotisches Selbstverständnis anderer Nationen, oder gut gemeinter Rat Nichtdeutscher - nein Danke, das Deutschsein mochte sich niemand so recht ans Revers stecken.
Obwohl - kleiner Exkurs für die noch Unbelehrten gefällig? - diese Verabscheuung eigentlich recht unbegründet ist: Die Farben schwarz, rot und gold entspringen dem Kontext der 1848er-Revolution, die sich für die Werte der Freiheit und Einheit verbürgt hat. Die von den Nationalsozialisten gebrauchte Reichskriegsflagge wartete mit schwarz-weiß-rot auf.
Verzeiht meine harten Worte: Aber wer immer noch mit der ewig gleichen Begründung mit den deutschen Farben hadert, dem schlage ich eine, wie auch immer geartete, deutsche Flagge vor, die die Worte "Sorry for the holocaust." - für jeden sichtbar - integriert. Ihr wisst, wie ich das meine.
Nun also die Fußballweltmeisterschaft 2006 - ausgetragen in Deutschland, und plötzlich greift dieser Wandel um sich:
Erst war es ein leise säuselnder Wind, der vereinzelte Fähnchen an Häuserfassaden tanzen ließ, dann wurde es ein Brausen, jedes dritte Auto war über Nacht schwarz-rot-gold beflaggt, Ohrringe, Haarbänder & Täschchen für die Damenwelt, Trikots, Mützen und Tröten für die Herren der Schöpfung - und alles in schwarz-rot-gold!
Als ich das erste Kleinkind an einem spielfreien Tag [!] mit schwarz-rot-gold-geschminkten Wangen durch einen Supermarkt taumeln sah, wusste ich: Der Sturm stand bevor!
Nun also war Deutschland ins Halbfinale eingezogen. Die nationalen Farben kannten keinen Halt mehr: Ob Museumskasse, Bibliotheksausleihe oder Tante-Emma-Laden - alles vereint in den deutschen Farben!
Gestern dann das traurige Ausscheiden der deutschen Nationalmannschaft. Es war nicht so, dass ein großer Aufschrei das Land erzittern ließ. Doch stille Tränen rollten, manches leise Schluchzen drang aus den Rängen des Stadions. Die Gesichter enttäuscht, einer Vision beraubt, die Blicke leer und stumpf.
Nach dem Spiel glich die Fahrt durch Deutschland einem Leichenzug. Langsames Schreiten, hängende Schultern, gedämpfte Gespräche. Der Mantel des Schweigens legte sich über Deutschland, der Rückzug ins Private stand wieder an.
Aber! Leute, lassen wir uns nicht unterkriegen! Das war erst der Anfang: Schwarz-rot-gold ersteht gerade erst aus seiner Asche!
Natürlich müssen wir noch viele Diskussion führen - um Vaterlandsliebe, Patriotismus und Nationalismus - wir müssen um Begriffe und Grenzen feilschen - aber lasst uns weitergehen auf diesen neuen Wegen!

Verfasst: Juli 2006

Das hübsche Foto stammt übrigens von Karolin [DANKE!]. Das hat sie vor kurzem im flaggenbessesenen Beirut gemacht. Die Löcher haben nichts zu bedeuten, die haben wohl alle Flaggen und Demo-Plakate im Libanon.

2 Comments:

Blogger Mue said...

genau,..weiter so!! hoch solln sie leben! DREI mal hoch!
SCHWARZ
ROT
GOLD

Wednesday, July 05, 2006 5:57:00 AM  
Anonymous Anonymous said...

Ich habe schon den ganzen Tag darauf gewartet, hier etwas lesen zu können. Vielen Dank für diesen weiteren kurzweiligen Eintrag. :)

Aber ich glaube nicht, dass es das Schwarz-Rot-Gold war, das immer misstrauisch beäugt wurde (und bald wieder wird?), sondern das damit verbundene zur-Schau-Stellen eines ob des Dritten Reiches unheimlichen und nicht tolerierbaren Patriotismus. Wir haben es ja auch bei den Anfängen der WM gesehen, als die PDS und die GEW gegen Fahnenmeer und Nationalhymne wetterten. Gut, dass das diesmal keiner hören wollte. Bis jetzt jedenfalls.

Jedwede Hooligans- und No-Go-Area-Warnungen im Vorfeld sind im schwarz-rot-goldenen Meer versunken. Die eigentliche Leistung der WM liegt deshalb auch in dem neuen Bild, dass das Ausland und wir selbst von Deutschland bekommen haben, in dieser neuen und so noch nie dagewesenen Unbekümmertheit und dem Gefühl, dass wir ja vielleicht doch so etwas wie eine fröhliche deutsche Seele haben können, allen Nörglern, Meckerern und Schwarzmalern zum Trotz. In diesem Sinne geht die Party hoffentlich noch bis zum Sonntag weiter.

Wednesday, July 05, 2006 7:24:00 AM  

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