kolumnen-fee?

Taugt das was? Daumen hoch, Daumen runter!

Wednesday, August 02, 2006


Der wichtigste Abend im Jahr

Wenn sich ein wunderbarer Sommer dem Ende zuneigt oder ein feuchtkalter Herbst einen zu lang geratenen, klammen Frühling ablöst, dann schleicht sich ganz schnell ein Thema in die Gespräche ein:
Nein, nicht Weihnachten. Weihnachten überwältigt einen ja eher Jahr für Jahr mit ungeahnter Macht.
Man fühlt sich noch gar nicht so weihnachtlich, beklagt sich darüber, dass man nie zur Ruhe kommt, um bei Plätzchen und Kerzenlicht ein wenig über den Gehalt dieses Festes zu sinnieren. Von Geschenk-Einkäufen ganz zu schweigen. Aber das meine ich nicht.
Nein, was sich da wie ein widerwilliger Haken in unsere Gedanken verheddert, ist die große Frage:
Wie werden wir Silvester verbringen?
Monatelanges Planen, in dem der Ort festgelegt wird, Gästelisten geschrieben und Menü-Karten
erstellt werden oder man sich zumindest überlegt, mit welchen Freunden man auf welche Party gehen will,
das alles gibt es trotzdem nicht. Weil es nicht cool genug ist?
Nein. Lasst uns der Wahrheit ins Gesicht blicken: Weil wir die ganze Zeit hoffen, dass noch etwas Besseres kommt. Die ultimative Party in einer krassen Örtlichkeit (interessante Menschen und super Musik inbegriffen), die Spontan-Reise in die Hauptstadt oder nach Barcelona (natürlich ein Schnäppchen).
Manchmal nimmt einen auch noch die leise Hoffnung gefangen, man hätte vielleicht das Glück, bis zum Jahresende den absoluten Traumpartner kennen zu lernen. Da wäre es ja blöd, wenn man schon in silvesterliche Planungen verstrickt wäre. Nein, da möchte man doch ganz still und romantisch mit dem Herzblatt in einem Häuschen an der Ostsee sitzen. Draußen tobt der Sturm durch die Dünen, von Feuerwerk und Sektkorkenknallerei keine Spur, aber um Mitternacht würde man sich tief in die Augen schauen und sich ewige Treue schwören.
Die Realität – vier Tage nach Weihnachten – ist leider eine ganz andere.
Weihnachten ist geschafft, man weiß nicht, wie man die angefutterten Pfunde jemals wieder loswerden soll, und obwohl einen der Gedanke an Silvester mindestens seit September oder spätestens seit der Umstellung auf die Winterzeit begleitet, scheint einen das nahende Jahresende mit allen Feierlichkeitserwartungen mitten aus dem Nichts zu überraschen.
Wisst ihr, dass ich jedes Jahr platt bin, dass Silvester immer exakt eine Woche nach Heiligabend kommt?
Ich könnte wetten: Als ich klein war, lagen – zwischen diesen grandiosen, von Erwachsenenhand geplanten Großereignissen – Wochen!
Wie auch immer. Ist der Verwandtenbesuch abgereist, sind alle weihnachtlichen Geschenke-Austausch-Treffen geschafft, beginnt in einem die zarte Sorge zu nagen, man säße an Silvester vielleicht einsam und verlassen hinter einem dunklen Fenster, während der Rest der Welt sich amüsiert wie nie zuvor.
Dann startet dann panische Anrufe bei Freunden („Was macht ihr denn zu Silvester so?“), in denen man jedoch versucht, extrem lässig zu klingen (so, als hätte man rund 20 Einladungen und könne sich nur noch nicht entscheiden). Endlich: das erlösende Telefonklingeln, eine Einladung per Email oder besser noch persönlich.
Ein Platz für dich. An Silvester. Du bist e.i.n.g.e.l.a.d.e.n.! Aber darauf kann man sich dann ja auch nicht einlassen. Ha, das wäre zu einfach! Wer weiß: Wenn man nun zusagt – bei der besten Freundin „in kleiner Runde“ das Sektgläschen heben zu wollen – was könnte einem da alles entgehen! Vielleicht würde der gutaussehende Typ von nebenan am 31.12. (morgens, beim Bäcker) ein Gespräch anzetteln und ganz beiläufig fragen: „Und, was machst du so heute Abend? Ein Kumpel von mir macht 'ne Party. Magst du mitkommen?“
Hilfe, schon Nachmittag um vier, nur noch wenige Stunden trennen einen von SILVESTER!
Man könnte sich ja auch mal erkundigen, was die Eltern so machen...
Und dann stolpert man irgendwann, irgendwie mit irgendjemandem in irgendeine Richtung los, landet entweder tatsächlich auf der richtigen Party oder die Nacht gleicht dem ermüdenden Versuch, eben diese Party irgendwie zu finden: In einem Gewirr aus Handyanrufen, dem Inspizieren von Menschenansammlungen im öffentlichen Raum und stundenlanger Herumfahrerei mit Straßenbahnen, und Auto.
Ob der Abend gut wird, auf welcher Party man landet, mit wem man sich angeregt unterhält – das alles ist eine Frage des Zufalls. Wie an jedem anderen Abend auch. Nur dass man sich so viele Gedanken darum macht wie sonst nie.

Verfasst: Juli 2006















Mein Horror-Silvester

Auch, wenn es vielleicht klingen mag wie das Drehbuch eines neuen deutschen Films... es mir alles so passiert, wie ich es euch hier berichte:

Wir schreiben den Jahreswechsel 2002/2003. Alles wie beschrieben:
Die Frage, was ich machen würde, geistert mindestens seit Oktober durch meinen Kopf.
Mir und meinen Hoffnungen auf ein fulminantes Silvester-Ereignis angeschlossen hat sich meine Schulfreundin – nennen wir sie Christina. Nachdem wir mehrere Einladungen ausgeschlagen oder potentielle Gastgeber mit einem vagen: „Mal schauen, vielleicht kommen wir ja mal vorbei!“ abgespeist haben, rückt auch dieser 31.12. unaufhaltsam näher.
Schließlich beschließt man, „in kleiner Runde“ bei meinem guten Freund Tim zu feiern.
Die erlesenen Gäste sind: Tim, sein Geliebter Marc, seine psychisch labile Bekannte – die Mittvierzigerin Bettina – ich und meine Schulfreundin. Damit der Abend nicht am kulinarischen Genuss scheitert, wird ausgemacht, Raclette zuzubereiten, dessen Kosten man teilen wird. (Als ich später die Unmengen von teurem Raclette-Käse sehe, überlege ich kurz, ob ich verpasst habe, dass wir eine ganze Woche feiern wollen.)
Wohlwollend gestimmt, machen Christina und ich uns auf. Kaum hat Tim die Wohnungstür geöffnet,
blickte ich in seine, wunderschönen, nun aber von tiefer Traurigkeit durchdrungenen Augen.
„Kann ich dich mal alleine sprechen?!“ flüstert er mir zu. Natürlich.
Unter vier Augen – Christina findet sich derweil wunderbar allein in der fremden Wohnung zurecht (sagen wir: Sie hat die alkoholischen Vorräte gefunden.) – eröffnet mir Tim dann, dass sein Freund am Morgen eben dieses Silvestertages Schluss gemacht hat. Schluss machen zu Silvester – gute Wahl, gratuliere!
Hätte diese Knalltüte für seine Spontan-Aktion nicht einen der anderen 364 Tage dieses Jahres wählen können? Wie auch immer, ich halte das heute noch für eine besonders fiese Form des Verletzenwollens, die niemand verdient – schon gar nicht mein lieber Tim.
Nun ja, man muss die Feste feiern, wie sie fallen. Soll heißen: Wenn heute Silvester ist,
dann wird trotzdem gefeiert.
Ein schön gedeckter Tisch, Unmengen von Essen und drei feierwillige junge Erwachsene.
Was soll denn da schief gehen können? Aber da war doch noch jemand... Genau: Bettina, die Frau,
die manchmal ziemlich krasse Filme schiebt und heute das Raclette-Gerät mitbringen soll.
Vor drei Stunden hatte Tim noch mit ihr telefoniert.
Doch wir warten vergebens. Also schieben wir den Raclette-Käse kurzerhand in den Ofen.
Schmeckt scheiße, muss man nicht ausprobieren. Die Tischgespräche landen doch immer wieder bei der spontanen Schluss-mach-Aktion von Marc. Einzig Christina prostet uns fröhlich zu, sie hat inzwischen die zweite Flasche Weißwein geleert und ist fest davon überzeugt, sich zu amüsieren. Tim – inzwischen ziemlich von Bettinas Ausbleiben beunruhigt, beginnt gegen 22 Uhr die Kliniken der Stadt abzutelefonieren. Es klingelt.
Aber nicht Bettina steht vor der Tür. Sondern Attila, ein cooler Kumpel von Tim. Der stammt ursprünglich aus Serbien und hat einen elendssüßen Akzent mit einem bezaubernden rollenden „R“. „Mensch, bei euch ist ja echt Stimmung!“, kommentiert er passend unsere obskure Runde. In Windeseile packt er uns in seinen alten Golf und dreht ein paar Runden durch die Stadt mit uns. Wir Mädels teilen uns die Rückbank mit einer riesigen, schwarz-roten Fahne, die Attila am Morgen gebastelt hat. Wir hören Helge Schneider und grölen vereint zu russischem Rock und schwenken die Fahne aus dem Fenster. Christina lächelt beduselt vor sich hin,
Tims Sorgenfalten glätten sich für einen Moment. Das ist der schönste Augenblick dieser Nacht.
Nun, Attila hat auch etwas vor mit dieser Fahne. Er will zu einer Demo fahren. Unglaublich, die Zecken dieser Provinzstadt können nicht mal am 31.12. das Demonstrieren lassen. Bin hier weggezogen, will die alle nie,
nie wieder sehen.
Aber allein sein will ich auch nicht. Also los in die „autonome Szene“ dieser ungenannt bleibenden Stadt.
Die Haare ins Gesicht geschoben, den Kopf weit zwischen die Schultern gezogen, den Blick auf den Boden gerichtet, lasse ich mich durch die Menge schieben und wünsche mich an jeden anderen erdenklichen Ort –
es kann nur besser sein als hier.
Immerhin: Eine Sache klärt sich: Auf der Demo treffen wir Bettinas Sohn – die verloren gegangene Raclette-Besitzerin. Von ihm erfahren wir, dass sie sich tatsächlich noch spontan in die psychiatrische Abteilung einer Klinik hat einweisen lassen. Zwischen dem Telefonat mit Tim und der Abfahrt der Straßenbahn war noch genug Zeit für einen Anruf ihres Ex-Mannes, der sie sehr durcheinander gebracht haben muss.
Mitternacht – Prosit, Neujahr! Schon fiepst das Handy und ich empfange Neujahrgrüße von meinen Geschwistern, die Silvester sicher ganz toll verbringen.
Christina (inzwischen hackedicht) beginnt, mit einem seltsamen Typen mit knallroten Dreadlocks herumzuknutschen.
Wie auch immer: Die Morgendämmerung kündigt sich an, ich sehe das Ende dieser schrecklichen Silvesternacht nahen.
Plötzlich stoppt jemand vor mir, schaut mich an und kreischt: „Hey, was machst DU denn hier?!“
Thomas, eine verzweifelte Verliebtheit aus Schulzeiten steht vor mir.
Erde, Erde, tu dich auf. Aber sofort.

Verfasst: Juli 2006

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