kolumnen-fee?

Taugt das was? Daumen hoch, Daumen runter!

Monday, June 25, 2007

Ostdeutsch

Als ich vor fünfeinhalb Jahren nach Ostdeutschland kam, war ich voll und ganz auf neue Erfahrungen eingestellt. Nicht umsonst hatte ich eine Studienstadt gewählt, deren Geschichte einen anderen Blick auf die gesamtdeutsche Wirklichkeit wirft. Ich wollte raus aus dem Gewohnten. Auf zu neuen Ufern – ein Hoch auf die Bewusstseinserweiterung!

So sperrte ich mich auch keineswegs, als ich mit so manchen – als ostdeutsch geltenden – Gepflogenheiten konfrontiert wurde. So gewöhnte ich mich schnell daran, auf einer Party 24 Leuten in Folge die Hand zu schütteln oder ganz selbstverständlich meine Schuhe auszuziehen, sobald ich eine Wohnung betreten hatte. (Als ich meine Eltern beim ersten Besuch darum bat, ihre Schuhe auszuziehen, quittierte meine Mutter das übrigens mit einem entgeisterten Blick und sagte: „Wir sind doch keine Türken!“)

Auch die dicken Socken, die – was ein echter Ossi sein will – im Winter in der Tasche mit herumgetragen werden, um bei spontanen Hausbesuchen zum Einsatz zu kommen, waren kein Problem.
Nur bei einer Sache war ich mir sicher: Nie würde ich anfangen, ostdeutsch zu reden.
Mein Bruder hatte ja behauptet, hier sage man nicht: Da krieg ich ja 'ne Gänsehaut! - sondern (haltet euch fest!): Da krieg isch jo gleisch 'n Broiler-Kostüm! Dass das eine Finte war, hat sich bald herausgestellt. Um so mehr musste ich lachen, als ich neulich jemand hörte, der allen Ernstes meinte, er bekomme einen Erpel-Parka – als Synonym für eine Gänsehaut.
Als ich vor kurzem jemanden in Nordrhein-Westfalen besuchte, konfrontierte man mich dort mit der Aussage, man merke, dass ich schon so ein Weilchen in Ostdeutschland wohne: DU sprichst auch schon richtig ostdeutsch!
In der schlaflosen Nacht, die ich daraufhin hatte, ging ich im Geiste durch, wie ich zu sprechen pflege.
Okay, okay. Ich gebe zu: So mancher Ausdruck hat es mir angetan. So kam mir das herumrödeln (emsig und oftmals selbstvergessen an einer Sache arbeiten, deren Erfolg noch in den Sternen steht) sofort ganz leicht über die Lippen. Aber ist das ostdeutsch?
Gerne fuchse ich mich auch in etwas Neues ein. Zum Beispiel in die Bedienung eines mir unbekannten Programms – oder die Funktionsweise einer technischen Neuerung.
Aber – Hand aufs Herz – einfuchsen, das sagt man doch auch in anderen Regionen Deutschlands, oder?
Entspannt ließ ich mich in die Kissen sinken. Wieder zurückgekehrt in ostdeutsche Gefilde begann ich, meine Spontansprache einer eingehenden Prüfung zu unterziehen.
Mit Erschrecken stellte ich fest, dass mir immer häufiger ein weeste (für weißt du), ein gedehntes ooch (auch) oder ein kleener (kleiner) Fauxpas herausrutscht.
Und nicht die ostdeutsche Aussprache allein war es, die mich erschreckte. Nein! Ich verwende ostdeutsche Begriffe! Die westdeutsc
he Tupperware® ist in meinem Sprachgebrauch schon lange zur ordinären Plasteschüssel verkommen. Entsetzt schaute mich ein ebenfalls westdeutscher Freund an, als ich ihm erzählte, die Leute seien am verkausfoffenen Sonntag wie die Bekloppten in die Geschäfte gerammelt. Ich war ja grade froh, dass mir nicht rausgerutscht war, sie seien in die Kaufhalle gestürmt. Ganz zu schweigen vom nebenan befindlichen Getränkestützpunkt.
Mach dir keine Platte
, sagte ich mir. Ich tröstete mich damit, dass mir immerhin diese unglaublichen Ossi-Abkürzungen wie Ellis (für Eltern) oder Effi (für FKK-Strand) bisher nicht über die Lippen kamen.
Dispatcher, Bückware, MuFuTi, Muttiheft und hastenichgesehen beschreiben hingegen Dinge, die es im Westen nicht gab. Im Nu wickle ich eine Schlagersüßtafel aus dem Silberpapier und kann mich im Restaurant auch problemlos für eine Sättigungsbeilage und das entsprechende Heißgetränk entscheiden. Alles keen Problem. Ich ruppe auch weiterhin übelst an der Strippe, da könnt ihr ningeln wie ihr wollt!
Doch dann kam es zum GAU: Ich ertappte mich dabei, wie ich von meiner Mutter erzählte und sie dabei – ganz selbstverständlich – MUTTI nannte. Nie, nie, nie in meinem Leben nannte ich die wundervolle Frau, die mich neun Monate unter ihrem Herzen trug, MUTTI.

Ich mache jetze los – egal wohin, Hauptsache, ich kann den Rest meiner ursprünglichen Sprache noch retten!

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7 Comments:

Anonymous Anonymous said...

schön!
Ich musste sehr schmunzeln.
Allerdings: Es gibt beim besten Willen keinen Dialekt namens "Ostdeutsch" - ziemlich sicher.
Oder?
Habisch da was verpassen tun?
Ingesamt war mir der Text aber sehr sympathisch.
Katja

Monday, June 25, 2007 3:05:00 AM  
Blogger Franz Steinert said...

Was es nicht alles gibt, da kann der Ossi auch noch was lernen.

"Ich mache jetze los – egal wohin, Hauptsache, ich kann den Rest meiner ursprünglichen Sprache noch retten!"

--> Deswegen die Flucht nach Hamburg, jetzt verstehe ich das ;-)

Schön Gruß an Mutti, hehe...

Monday, June 25, 2007 3:32:00 AM  
Anonymous Anonymous said...

"Mutti" gibt es echt nur in Ossi-Land??? Ich bin geschockt!!!
Naja, man lernt nie aus.
Cooler Text!

Tuesday, June 26, 2007 1:22:00 AM  
Anonymous Anonymous said...

habe mehrmals lauthals gelacht - ein herrliches Vergnügen!

aber: Mutti sagt man tatsächlich auch noch in anderen Teilen der Republik (ICH sags NICHT - soviel sei mal klargestellt, aber z.B. meine Mama nannte und nennt ihre Mutter in BAYERN Mutti..)

Liebste Grüße
nicole(-suha)

Thursday, June 28, 2007 12:19:00 PM  
Anonymous Anonymous said...

Hi Esther,
Erpelparka merk ich mir. Aber Mutti durfte ich auch nie sagen ;-).

Tuesday, July 03, 2007 1:42:00 AM  
Anonymous Anonymous said...

Also ich finde es prima, dass du wieder schreibst! Ich freue mich so von dir zu lesen und musste heute sehr schmunzeln und lachen.

Ich kann mir lebhaft vorstellen, wie du zurück nach Leipzig gefahren bist und dich selbst beobachtet hast, um heraus zu finden, ob du viel von der ostdeutschen Sprache angenommen hast. Ich muss zugeben, viele der Begriffe waren mir absolut unbekannt (*g* tut mir leid....)

Die aus NRW

Thursday, July 12, 2007 12:27:00 AM  
Anonymous Anonymous said...

Servus!

Bin bei der Google-Recherche zu meinem Lieblingswort "Broilerkostüm" über diese Seite gestolpert und habe mich köstlich amüsiert. Da ich viele Freunde aus den Neuen Bundesländern habe (inklusive Lebensabschnittsgefährtin und diverse Ex-Lebensabschnittsgefährtinnen) und von denen KEINER an einer sprachlichen Behinderung leidet, war der Inhalt des Textes umso aufschlußreicher.

Gruß aus Hessen,
Momo

Friday, July 04, 2008 12:55:00 AM  

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